Steuerrechtsurteile

Kürzung der Pendlerpauschale ist verfassungswidrig



Die zum 01.01.2007 eingeführte Neuregelung der Pendlerpauschale verstößt gegen Art. 3 Abs.1 GG und ist deshalb verfassungswidrig. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, rückwirkend zum 01.01.2007 die Verfassungswidrigkeit durch Umgestaltung der Rechtslage zu beseitigen. Bis dahin ist die Pendlerpauschale - vorläufig - wieder ohne die Beschränkung auf Entfernungen erst ab dem 21. Kilometer anzuwenden.

Der Sachverhalt:
Das BVerfG hatte über mehrere Vorlagen bezüglich der zum 01.01.2007 eingeführten Neuregelung der Pendlerpauschale zu entscheiden. So auch über den folgenden Fall:

Der verheiratete Kläger erzielte als angestellter Bäckermeister Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er wohnte mit seiner Familie in X. und arbeitet im 70 Kilometer entfernt gelegenen Y. Seine Ehefrau ist ebenfalls berufstätig und arbeitet im 37 Kilometer entfernt gelegenen Ort Z.


Mit seinem Antrag auf Lohnsteuer-Ermäßigung für das Jahr 2007 beantragte der Kläger, seine Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 4.620 Euro als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.


Das Finanzamt erkannte die geltend gemachte Pendlerpauschale nur teilweise an. Zur Begründung berief es sich auf die Neuregelung der Pendlerpauschale gemäß § 9 Abs.2 S.1 EStG, wonach Fahrtkosten-Aufwendungen erst ab dem 21. Entfernungskilometer absetzbar seien.


Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers setzte der BFH das Verfahren aus und legte dem BVerfG die Frage vor, ob § 9 Abs.2 S.1 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 mit dem GG vereinbar ist. Das BVerfG verneinte dies.


Die Gründe:
Die Neuregelung der Pendlerpauschale verstößt gegen Art. 3 Abs.1 GG und ist deshalb verfassungswidrig. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, rückwirkend zum 01.01.2007 die Verfassungswidrigkeit durch Umgestaltung der Rechtslage zu beseitigen. Bis dahin ist die Pauschale des § 9 Abs.2 S.2 EStG - vorläufig - ohne die Beschränkung auf Entfernungen erst ab dem 21. Kilometer anzuwenden.


Die Einführung des so genannten "Werkstorprinzips" stellt eine singuläre Ausnahme innerhalb des geltenden Einkommensteuerrechts dar. Das Erfordernis folgerichtiger Ausgestaltung der einkommensteuerrechtlichen Belastungsentscheidungen verlangt, dass derartige Ausnahmen hinreichend begründet sind. Als solche hinreichenden Gründe sind zwar auch außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt, aber nicht der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung. Denn diesem Ziel dient jede, auch eine willkürliche Mehrbelastung.


Der Neuregelung fehlt danach eine hinreichende sachliche Begründung für die Abkehr vom Veranlassungsprinzip bei der Abgrenzung der einkommensteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage. Auch Typisierungs- und Vereinfachungszwecke liefern keine tragfähige Begründung. Die zusätzliche Belastung durch Wegekosten für Entfernungen bis zu 20 Kilometer kann mangels einer korrespondierenden Abstimmung der Höhe des allgemeinen Arbeitnehmer-Pauschbetrags auch nicht unter Hinweis auf diesen allgemeinen Pauschbetrag "hinwegtypisiert" werden.


Schließlich fehlt es auch an einem den Gesetzgeber "befreienden" grundlegenden Systemwechsel oder einer neuen Zuordnungsentscheidung. Der Steuergesetzgeber darf zwar auch neue Regeln ohne Bindung durch Grundsätze der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen einführen. Einen zulässigen Systemwechsel kann es allerdings ohne ein Mindestmaß an neuer Systemorientierung nicht geben. Anderenfalls ließe sich jedwede Ausnahmeregelung als Anfang einer Neukonzeption deklarieren.


Reaktion des BMF:
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat direkt im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG mitgeteilt, dass ab dem 01.01.2009 (rückwirkend zum 01.01.2007) wieder das bis zum 31.12.2006 geltende Recht Anwendung findet. Die Bundesregierung werde angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation keine Maßnahmen ergreifen, um die mit der Umsetzung der Entscheidung einhergehenden Steuerausfälle von insgesamt rund 7,5 Milliarden Euro für die Jahre 2007 bis 2009 an anderer Stelle einzusparen.


Die Finanzämter sollten angewiesen werden, die Rückzahlungen für das Jahr 2007 möglichst schon in den ersten drei Monaten des Jahres 2009 zu leisten. Die Rückzahlungen erfolgen von Amts wegen und müssen daher nicht gesondert beantragt werden.


Linkhinweis:



  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.12.2008, Quelle: BVerfG PM Nr.103 vom 09.12.2008


(Meldung vom 2008-12-09)