Steuerrechtsurteile

Versagung von Beratungshilfe in steuerrechtlichen Angelegenheiten ist verfassungswidrig



Es verstößt gegen Art. 3 Abs.1 GG, dass Beratungshilfe zwar in sozialrechtlichen, nicht aber in steuerrechtlichen Angelegenheiten beansprucht werden kann. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt, was sich insbesondere beim Kindergeld zeigt, das sowohl auf sozialrechtlicher als auch auf steuerrechtlicher Grundlage ausgezahlt werden kann. Bis zu einer verfassungskonformen Neuregelung erstreckt sich die Beratungshilfe auch auf steuerrechtliche Angelegenheiten.

Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin bezog Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG). Nachdem sie einen Bescheid der Familienkasse erhalten hatte, wonach sie zuviel gezahltes Kindergeld erstatten sollte, begehrte sie Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (BerHG). Das AG wies den Antrag zurück, weil ein Anspruch auf Beratungshilfe gemäß § 2 Abs.2 BerHG nur für Angelegenheiten des Zivil-, Verwaltungs-, Verfassungs- und Sozialrechts bestehe. Die vorliegende Kindergeldstreitigkeit sei der Finanzgerichtsbarkeit zugeordnet und werde daher als steuerrechtliche Angelegenheit vom BerHG nicht erfasst.

Auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin hob das BVerfG die Entscheidung des AG auf und stellte fest, dass § 2 Abs.2 BerHG mit Art. 3 Abs.1 GG unvereinbar ist, soweit die Gewährung von Beratungshilfe in steuerrechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen ist. Außerdem ordnete es an, dass bis zu einer verfassungskonformen Neuregelung Beratungshilfe grundsätzlich auch für steuerrechtliche Angelegenheiten zu gewähren ist, sofern hierfür die allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs.2 BerHG vorliegen.


Die Gründe:
Der bislang nur auf die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes (insbesondere durch Prozesskostenhilfe) angewendete Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit muss auch für die außergerichtliche Beratung gelten. Der Gesetzgeber muss daher auch in diesem Bereich Vorkehrungen treffen, damit der Rechtssuchende mit der Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte nicht von vornherein an mangelnden Einkünften scheitert. Dies ist bislang nicht ausreichend geschehen.


§ 2 Abs.2 BerHG ist insoweit nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar, als Beratungshilfe nur in den dort ausdrücklich nach Rechtsgebieten aufgezählten Angelegenheiten gewährt wird. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt insbesondere im Hinblick auf sozialrechtliche und steuerrechtliche Angelegenheiten vor. Dies zeigt sich gerade am hier streitigen Kindergeld, das sowohl auf sozialrechtlicher Grundlage als auch (im Regelfall) auf steuerrechtlicher Grundlage gewährt werden kann, so dass bei einer ähnlichen Leistung das Beratungsrecht in dem einen Fall Anwendung findet und in dem anderen nicht.


Zwar kann die Herausnahme einzelner Rechtsgebiete aus dem Katalog des § 2 Abs.2 BerHG grundsätzlich dadurch gerechtfertigt sein, dass in manchen Rechtsgebieten ein geringerer Beratungsbedarf und gute anderweitige Beratungsmöglichkeiten bestehen. Dies hat der Gesetzgeber ursprünglich für arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Angelegenheiten angenommen. Diese Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs des BerHG hat er jedoch aufgegeben, indem er durch eine 1994 erfolgte Gesetzesänderung den Anwendungsbereich des Gesetzes auf Angelegenheiten des Sozialrechts erstreckt hat.


Die Nichtgewährung von Beratungshilfe in steuerrechtlichen Angelegenheiten kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass Bürger mit geringem Einkommen insoweit regelmäßig keine größeren Probleme haben. Dass diese Annahme nicht zutrifft, zeigt gerade das unabhängig vom versteuernden Einkommen gewährte Kindergeld. Die Ausklammerung des Steuerrechts stellt auch keine zulässige Typisierung oder Pauschalierung dar, weil es insoweit an einer folgerichtigen Umsetzung des Regelungskonzepts fehlt.


Linkhinweis:



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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.10.2008, Quelle: BVerfG PM Nr.91 vom 30.10.2008


(Meldung vom 2008-10-30)