Steuerrechtsurteile

Zur Steuerberechnung beim Zusammentreffen von Tarifermäßigung und Progressionsvorbehalt



Treffen - wie etwa bei Erhalt einer ermäßigt zu besteuernden Abfindung und nachfolgendem Bezug von Arbeitslosengeld – die Tarifermäßigung des § 34 Abs.1 EStG und der Progressionsvorbehalt des § 32b EStG zusammen, so ist eine integrierte Steuerberechnung vorzunehmen. Dabei ist eine Berechnungsreihenfolge zu wählen, nach der sich die Wirkung der progressionserhöhenden Einkünfte nicht durch die Berechnung der Tarifermäßigung verschärft.

Der Sachverhalt:
Der BFH hatte in zwei Fällen darüber zu entscheiden, wie die Einkommensteuer zu berechnen ist, wenn die Tarifvorschriften des § 34 Abs.1 EStG (Tarifermäßigung) und des § 32b EStG (Progressionsvorbehalt) zusammentreffen.

1. Im ersten Fall (Az.: VI R 44/07) entfaltete bei der Steuerberechnung neben der Ermäßigungsvorschrift des § 34 Abs.1 EStG der (positive) Progressionsvorbehalt – gegenläufige – steuererhöhende Wirkung:

Die Klägerin erhielt im Streitjahr 2000 ermäßigt zu besteuernden Arbeitslohn für mehrere Jahre ausgezahlt und bezog zugleich zeitweise Arbeitslosengeld, das dem Progressionsvorbehalt unterlag. Da das zu versteuernde Einkommen der Klägerin geringer war als der ermäßigt zu besteuernde Arbeitslohn, wandte das Finanzamt § 34 Abs.1 S.3 EStG an und berücksichtigte das Arbeitslosengeld in voller Höhe im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG.


2. Im zweiten Fall (Az.: VI R 66/03) traf die Tarifermäßigung des § 34 Abs.1 EStG mit einem negativen Progressionsvorbehalt zusammen:


Der Kläger erhielt im Streitjahr 1999 im Anschluss an einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht von seinem Arbeitgeber eine Lohnnachzahlung für die Jahre 1997 und 1998. Einen Teilbetrag zahlte der Arbeitgeber unmittelbar an das Arbeitsamt, da der Kläger während des Arbeitsrechtsstreits zunächst Arbeitslosengeld erhalten hatte und der Lohnanspruch insoweit auf das Arbeitsamt übergegangen war. Das Finanzamt lehnte in Höhe dieses Teilbetrags eine ermäßigte Besteuerung ab.


Die Klagen hatten überwiegend keinen Erfolg.


Die Gründe:
Das EStG sieht für Fälle wie die Vorliegenden, in denen die Tarifvorschriften des § 32b EStG (Progressionsvorbehalt) und des § 34 Abs.1 EStG (Tarifermäßigung) zusammentreffen, keine eindeutige Methode für die Berechnung der Einkommensteuer vor. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften ist eine Berechnungsreihenfolge zu wählen, nach der sich die Wirkung der progressionserhöhenden Einkünfte nicht durch die Methode durch Berechnung der Tarifermäßigung verschärft.


1. Steuerberechnung im ersten Fall (VI R 44/07):
Bei einem Zusammentreffen der Tarifermäßigung des § 34 Abs.1 EStG mit dem (positiven) Progressionsvorbehalt des § 32b EStG ist grundsätzlich eine integrierte Steuerberechnung vorzunehmen, bei der die Progressionseinkünfte (hier: das Arbeitslosengeld) bei der Steuerberechnung nach § 34 Abs.1 EStG in vollem Umfang steuersatzerhöhend berücksichtigt werden.


Übersteigen die der Tarifermäßigung unterliegenden außerordentlichen Einkünfte – wie im Streitfall - das zu versteuernde Einkommen, so richtet sich die Steuerberechnung nach § 34 Abs.1 S.3 EStG. Die Progressionseinkünfte sind danach nur insoweit steuererhöhend zu berücksichtigen, als sich nach einer Verrechnung mit dem negativen verbleibenden zu versteuernden Einkommen ein positiver Differenzbetrag ergibt.


Auf diese Weise wird – im Gegensatz zu einer vollen Berücksichtigung der Progressionseinkünfte - verhindert, dass sich bei Anwendung des Progressionsvorbehalts eine höhere Steuerbelastung ergibt als bei Bezug steuerpflichtiger Einkünfte in Höhe der Progressionseinkünfte.


2. Steuerberechnung im zweiten Fall (VI R 66/03):
Wenn der Arbeitgeber – wie hier - aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 115 SGB X Lohn unmittelbar an die Arbeitsverwaltung zahlt, führt dies beim Arbeitnehmer zum Zufluss von Arbeitslohn.


Unterliegt der Nachzahlungsbetrag sowohl der Tarifermäßigung des § 34 Abs.1 EStG als auch dem negativen Progressionsvorbehalt des § 32b EStG, so ist eine integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip vorzunehmen. Danach sind die Ermäßigungsvorschriften in der Reihenfolge anzuwenden, die zu einer geringeren Steuerbelastung führt, als dies bei ausschließlicher Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts der Fall wäre.


Im Streitfall ist dem Kläger daher auch in Höhe der Zahlung seines Arbeitgebers an das Arbeitsamt ermäßigt zu besteuernder Lohn zugeflossen. Diese Zahlung stellt gleichzeitig eine Rückzahlung von Arbeitslosengeld durch den Kläger dar, auf die der negative Progressionsvorbehalt anzuwenden ist. Aufgrund des Günstigkeitsprinzips ist die Tarifermäßigung zur Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs.2 EStG zu berücksichtigen und nicht umgekehrt, da sich hieraus eine geringere Steuerbelastung ergibt.


Der Hintergrund:
Die Finanzverwaltung hat sich den Berechnungsmethoden des BFH bereits im Jahre 2006 angeschlossen. In den jeweiligen Verfahren war es allerdings nicht zu einer Sachentscheidung gekommen, weil jeweils eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache eingetreten war.


Linkhinweise:


Beide Entscheidungen sind auf den Webseiten des BFH veröffentlicht:



  • Für das Urteil vom 17.01.2008 (Az.: VI R 44/07) klicken Sie bitte hier.

  • Das Urteil vom 15.11.2007 (Az.: VI R 66/03) finden Sie hier.



Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 09.06.2008; Quelle: BFH PM Nr.53 vom 05.06.2008


(Meldung vom 2008-06-09)