Steuerrechtsurteile

Überraschungsentscheidung stellt Verfahrensfehler in Sicht des § 115 Abs.2 Nr.3 FGO dar



Die Verfahrensbeteiligten haben einen Anspruch darauf, dass das Gericht sie auch in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte hinweist, mit denen sie erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten. Wird dies versäumt, trifft das Gericht eine Überraschungsentscheidung, worin ein Verfahrensfehler in Sicht des § 115 Abs.2 Nr.3 FGO liegt.

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist ledig und studierte im Streitjahr 2004 als Angehöriger der Bundeswehr an der Bundeswehrhochschule in X. Für die unentgeltliche Unterbringung in der Kaserne ergab sich ein monatlicher geldwerter Vorteil von 162,94 Euro. Daneben nutzte der Beschwerdeführer eine Dachgeschosswohnung im Haus seiner Mutter in A.

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger Unterkunftskosten in der Kaserne in Höhe von 1.956 Euro (162,94 Euro x 12) und Aufwendungen in Höhe von 5.065,20 Euro für 28 Familienheimfahrten nach A. als Werbungskosten gemäß § 9 Abs.1 S.3 Nr.5 EStG in der Fassung des Streitjahrs geltend.

Das Finanzamt ließ lediglich die Fahrtkosten zum Abzug zu. Das FG wies die Klage des Beschwerdeführers ab. Zuvor hatte er wegen eines beim BFH anhängigen entscheidungserheblichen Verfahrens das Ruhen des streitigen Verfahrens beantragt, womit sich das FG aber nicht auseinander setzte. Auf seine Nichtzulassungsbeschwerde hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.


Die Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet, weil das FG dem Kläger nicht in ausreichender Form rechtliches Gehör gewährt hat. Das FG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, worin ein Verfahrensfehler in Sicht des § 115 Abs.2 Nr.3 FGO liegt.


Gemäß Art. 103 Abs.1 GG hat jedermann vor Gericht einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Hieraus folgt für das finanzgerichtliche Verfahren zum einen, dass das FG sein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen darf, zu denen die Beteiligten sich gemäß § 96 Abs. 2 FGO äußern konnten. Darüber hinaus haben die Verfahrensbeteiligten Anspruch darauf, dass das Gericht sie auch in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte hinweist, mit denen sie erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten.


Das FG hat im vorliegenden Fall angenommen, dass sich der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers nicht mehr in A. befand. Mit dieser Würdigung des FG konnte der Beschwerdeführer nicht rechnen, denn nach Aktenlage gingen alle Beteiligten vom Gegenteil aus. Streitig war vielmehr, ob der Beschwerdeführer im Haus seiner Mutter einen eigenen Hausstand unterhielt. Nach Auffassung des Finanzamts war dies zu verneinen, weil er die Wohnung im Wesentlichen unentgeltlich nutzen durfte.


Bei dieser Ausgangslage durfte das FG den bis dahin nicht umstrittenen Gesichtspunkt "Lebensmittelpunkt" nur dann zur Grundlage seiner Entscheidung machen, nachdem es dem Kläger auf einen entsprechenden Hinweis Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Kläger musste deshalb von der erstmals in den Entscheidungsgründen niedergelegten Rechtsauffassung des FG überrascht sein.


Nachdem der BFH während des Klageverfahrens entschieden hatte, dass die entgeltliche Einräumung einer Rechtsposition nicht Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung ist, konnte der Beschwerdeführer mangels eines gegenteiligen Hinweises davon ausgehen, dass das FG diesen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung machte. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs hätte das FG ihn darauf hinweisen müssen, dass weitere, bis dahin gemäß § 76 Abs.1 S.1 FGO nicht angesprochene und aufklärungsbedürftige Gesichtspunkte entscheidungserheblich sein könnten. Ein solcher Hinweis ist jedoch unterblieben.


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Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 02.06.2008, Quelle: BFH online


(Meldung vom 2008-06-02)